Welche großräumigen Prozesse beeinflussen die Gewitteraktivität in Europa?

Die Forschung zu Extremwetterereignissen und Klimawandel hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Allerdings ist ein besseres Verständnis der Einflüsse großräumiger Prozesse auf die Gewitteraktivität noch immer erforderlich.

Schwere Gewitterereignisse und damit verbundene Wetterextreme wie Hagel, konvektive Sturmböen oder Tornados verursachen in Europas häufig erhebliche Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen oder in der Landwirtschaft und dem Ökosystem. Trotz der hohen Relevanz der Fragen zur vergangenen und zukünftigen Entwicklung solcher Ereignisse ist die Rolle der natürlichen Klimavariabilität und der Einfluss durch großräumiger dynamischer Prozesse und Mechanismen auf solche Erscheinungen noch recht wenig verstanden. Um diese Wissenslücke zu schließen, widmet sich die Arbeitsgruppe „Atmosphärische Risiken“ am IMK-TRO seit ein paar Jahren in mehreren Projekten dieser Fragestellung.

Kürzlich wurde im Rahmen einer Doktorarbeit gezeigt, dass die jährliche Variabilität der Gewitterereignisse mit der Variabilität der atlantischen Meeresoberflächentemperatur oder verschiedenen Telekonnektionsmustern der nördlichen Hemisphäre (z.B. Nordatlantische/Ostatlantische Oszillation) zusammenhängt (Piper, 2017; Piper und Kunz, 2017; Piper et al., 2019). Beispielsweise beeinflusst die Meeresoberflächentemperatur über dem Golf von Biskaya die jährliche europäische Gewitterhäufigkeit, wobei hier der größte positive Effekt in Frankreich zu beobachten ist.

In mehreren Arbeiten der Arbeitsgruppe wurde außerdem untersucht, ob bestimmte Wetterregime wie beispielsweise Blockingsituationen über Europa einen Einfluss auf die Gewitteraktivität haben. Atmosphärisches Blocking mit einer Lebensdauer von mehreren Tagen bis Wochen ist ein quasi-stationäres, persistentes Strömungsmuster in der mittleren Atmosphäre. Dadurch wird die Tiefdruckaktivität in einer bestimmten Region beeinflusst. So führt ein nahezu stationäres, stabiles Hochdruckgebiet in der Troposphäre in 5 bis 10 Kilometern Höhe zu einer Blockierung des Westwinddrifts. In der Vergangenheit wurde bereits gezeigt, dass solche persistenten Wetterlagen die Intensität und Häufigkeit von Wetterextremen wie Kälteperioden, Hitzewellen oder Starkregenereignissen in Regionen flussaufwärts oder flussabwärts des blockierten Gebietes einhergehen.

Auch erste Fallstudien im Rahmen der Forschungsaktivitäten der Arbeitsgruppe deuteten auf einen Zusammenhang zwischen Blocking und Gewitterereignissen hin. Beispielsweise zeigen Piper et al. (2016), dass eine außergewöhnliche Abfolge von schweren Gewittern, die mehrere Sturzfluten im Mai und Juni 2016 in Deutschland verursachten (z.B. Sturzflut Braunsbach), durch persistente konvektionsfördernden Bedingungen begünstigt wurden. Diese außergewöhnliche Situation, die fast zwei Wochen anhielt, konnte zunächst mit einen skandinavischen und später mit einem europäischen Block in Verbindung gebracht werden.

Ähnliche Bedingungen herrschten auch während einer dreiwöchigen Periode im Mai und Juni 2018. Hier wurden weite Teile West- und Mitteleuropas von außergewöhnlich vielen Gewittern heimgesucht, die Niederschläge von bis zu 80 mm in einer Stunde und mehrere Sturzfluten verursachten (Mohr et al. 2020). Während diesem Zeitraum beeinflusste die großräumige atmosphärische Zirkulation, die durch einen Block über Nordeuropa gekennzeichnet war, die für die Gewitterentwicklung relevanten atmosphärischen Bedingungen. Die südwestliche Strömung an der Westflanke des blockierenden Antizyklons induzierte zunächst die Advektion warmer, feuchter und instabiler Luftmassen. Aufgrund der mit dem Block verbundenen geringen Druckgradienten wurden diese Luftmassen über West- und Mitteleuropa eingeschlossen, blieben fast stationär und verhinderten einen signifikanten Luftmassenaustausch. Zudem erhöhte der Block die Cut-off Häufigkeit in den stromaufwärts gelegenen Regionen, die bis zu 10 Mal höher war als im klimatologischen Mittel (Abb. 1). Zusammen mit Filamenten mit positiver potentieller Vorticity (PV) dienten diese Cut-offs als Auslösemechanismen für einen Großteil der Gewitter. Für den Untersuchungszeitraum fanden wir heraus, dass mehr als 50 % der Blitzeinschläge mit einem nahegelegenen Cut-off-Tief oder PV-Filament in Verbindung gebracht werden können.

Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Universität Bern untersuchten wir außerdem, ob dieser Zusammenhang (Blocking vs. Gewitteraktivität) auch über einen langen Zeitraum beobachtet werden kann.  Dabei konnte zwei Gebiete identifiziert werden, in denen das Auftreten einen Block signifikant die Gewitteraktivität in Europa beeinflusst (Mohr et al., 2019). Während ein Block über dem östlichen Teil des Nordatlantiks zu einer nördlichen bis nordwestlichen Advektion trockener und stabiler Luftmassen nach Europa an der Ostflanke des Blocks und damit zu konvektionshemmende Bedingungen führt, ergibt sich mit einem Block über der Ostsee konvektionsförderliche Bedingungen (Abb. 2). Hier führt die süd- bis südwestliche Advektion warmer, feuchter und instabiler Luftmassen – hauptsächlich aus dem Atlantik, aber auch aus dem Mittelmeer oder aus östlichen Regionen – an der Westflanke des Blocks über der Ostsee zu optimalen Voraussetzungen zur Gewitterbildung über West- und Mitteleuropa.

Auch aktuell widmen sich die Arbeitsgruppe noch der Fragestellung. Im Rahmen des frisch gestarteten Projekts „Langzeitliche Variabilität und serielles Clustering von schweren Gewittern in einem sich verändernden Klima (VarCluST)“, einem Teilprojekt in dem BMBF-Verbundprojekts ClimXtreme, soll untersucht werden, welche weiteren Prozesse auf der großräumigen Skale noch einen Einfluss auf die Gewitteraktivität haben und mit welchen Änderungen in der Gewitterhäufigkeit und der hierfür relevanten Prozesse in der Zukunft gerechnet werden muss. Weiterhin soll erforscht werden, wie beobachtete Cluster von Gewitterereignisse auf Skalen von mehreren Tagen bis Wochen (bezeichnet als serielles Clustering) durch großräumige Mechanismen speziell bestimmt werden.

Literatur:

Mohr, S., Wandel, J., Lenggenhager, S., Martius, O. (2019): Relationship between blocking and warm season thunderstorms in western and central Europe. Q. J. R. Meteor. Soc., 145, 3040–3056, doi:10.1002/qj.3603.

Mohr, S., Wilhelm, J., Wandel, J., Kunz, M., Portmann, R., Punge, H. J., Schmidberger, M., Grams, C. (2020): The role of large-scale dynamics in an exceptional sequence of severe thunderstorms in Europe May/June 2018. Weather Clim. Dynam. Discuss., doi:10.10.5194/wcd-2020-1.

Piper, D. (2017): Untersuchung der Gewitteraktivität und der relevanten großräumigen Steuerungsmechanismen über Mittel- und Westeuropa. Wissenschaftliche Berichte des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie, Band 73, KIT Scientific Publishing, Karlsruhe, Deutschland, doi:10.5445/KSP/1000072089.

Piper, D., Kunz, M. (2017): Spatiotemporal variability of lightning activity in Europe and the relation to the North Atlantic Oscillation teleconnection pattern, Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 17, 1319–1336, doi:10.5194/nhess-17-1319-2017.

Piper, D., Kunz, M., Ehmele, F., Mohr, S., Mühr, B., Kron, A., Daniell, J. (2016): Exceptional sequence of severe thunderstorms and related flash floods in May and June 2016 in Germany. Part I: Meteorological background. Nat. Hazards Earth Syst. Sci., 16, 2835–2850, doi:10.5194/nhess-16-2835-2016.

Piper, D., Kunz, M., Allen, J. T., Mohr, S. (2019): Investigation of the temporal variability of thunderstorms in Central andWestern Europe and the relation to large-scale flow and teleconnection patterns. Q. J. R. Meteor. Soc., 145, 3644–3666, doi:10.1002/qj.3647.
 

[Arbeitsgruppe: Atmosphärische Risiken]
Autor: Susanna Mohr

20.03.2020

Abb. 1: Klimatologisches Mittel der Cut-off Häufigkeit (schwarze Konturen; alle 2 %; für Mai/Juni 1981 – 2010) und Anomalie in dem Untersuchungszeitraum (Mai/Juni 2018; farbig in % in Bezug auf die mittlere Häufigkeit im Mai/Juni; Datenquelle: ERA-Interim; ©KIT/Susanna Mohr).

 

Abb. 2: Zwei Gebiete (oben) – eines über dem östlichen Teil des Nordatlantiks (links) und eines über der Ostsee (rechts) – wurden als Orte identifiziert, an denen Blocking das Auftreten von Gewittern in Teilen West- und Mitteleuropas beeinflusst. Unten dargestellt ist der zugehörige statistische Zusammenhang mittels Odds Ratio: blauen Farben zeigen eine Verringerung der Gewitteraktivität durch einen Block (z.B. bedeutet ein Wert von 0,5 eine Verringerung der Odds Ratio um 50 %) und roten Farben eine Erhöhung (z.B. Wert = 2 bedeutet eine Verdoppelung des Odds Ratio; ©KIT/Susanna Mohr).