Einseitiger Effekt von symmetrischen Störungen in Ensemble-Vorhersagen auf aufsteigende Luftströmungen

Numerische Wettervorhersagen sind wegen des chaotischen Verhaltens der Atmosphäre mit Unsicherheiten behaftet. Um diese Unsicherheiten zu berücksichtigen, werden sogenannte Ensemble-Vorhersagen durchgeführt, die nicht nur eine, sondern mehrere mögliche Entwicklungen berechnen. Die Bandbreite der vorhergesagten Szenarien (der Ensemble Spread) erlaubt eine Abschätzung der Vorhersageunsicherheit und nach dem sog. Spread-Error-Verhältnis auch der Vorhersagegüte [1].

Abbildung 1:
Relative Differenzen (farbkodiert) der Ausströmungsfrequenzen von schnell aufsteigenden Luftströmungen zwischen einem Referenzexperiment mit SPPT und Anfangsbedingungsstörungen und einem Experiment ohne SPPT. Es werden nur Differenzen gezeigt, in denen die absolute Frequenz des Referenzexperiments (schwarze Kontouren in 5%-Schritten zwischen 5 und 25%) bei mindestens 5% liegen. Die Differenzen basieren auf 32 Vorhersagen zwischen Mitte August und Mitte Oktober 2016 mit je 20 Ensemble-Membern über 10 Vorhersagetage. @Pickl et al. 2022

Am Europäischen Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersagen (EZMW) werden Ensemble-Vorhersagen erstellt, indem die einzelnen Modelläufe von leicht abgeänderten Anfangsbedingungen starten, womit Unsicherheiten in der Abschätzung des Ausgangszustands durch meteorologische Beobachtungen berücksichtigt werden. Zudem werden während der Simulation Störungen eingebracht, welche die Fehlerquellen im Programmcode und in der Formulierung des Vorhersagemodells abbilden sollen. Diese Störungen werden aktuell mit dem stochastichally perturbed parametrization tendencies (SPPT) Schema generiert. SPPT ist so konzipiert, dass Störungen vor allem dort eingebracht werden, wo physikalische Prozesse stattfinden, die vom Modell nicht direkt berechnet werden können [2]. Zum Beispiel findet Kondensation und Wolkenbildung auf so kleinen Skalen statt, dass selbst heutige „hoch-aufgelöste“ Modelle mit Gitterweiten von 9km und mehr diese Prozesse nicht auflösen, sondern mit Hilfe von empirischen Formeln (sog. Parametrisierungen) annähern müssen.

Ein Wettersystem, das stark von diabatischen Prozessen geprägt wird, ist der sogenannte  Warm Conveyor Belt (WCB), eine feucht-warme Luftströmung, die typischerweise innerhalb von 1-2 Tagen aus bodennahen Luftschichten des Warmsektors von Tiefdruckgebieten in die obere Troposphäre aufsteigt. Während des Aufstiegs kommt es zur Kondensation von Wasserdampf und damit zur Freisetzung von latenter Wärme. Da diese Prozesse in Wettermodellen parametrisiert werden müssen, kommt es in solchen Situationen zu einem verstärkten Eintrag von Störungen durch das SPPT-Schema.

In einer neu erschienenen Studie [3], die in der Arbeitsgruppe „Großskalige Dynamik und Vorhersagbarkeit“ in Zusammenarbeit mit Kollegen am EZMW entstanden ist, wurde untersucht, ob und in welcher Weise SPPT WCBs und andere schnell aufsteigende, durch diabatische Prozesse verstärkte Luftströmungen beeinflusst. Damit liefert die Studie eine wettersystem-orientierte Perspektive auf stochastische Störungen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass in Vorhersagen mit SPPT systematisch mehr schnell aufsteigende Luftströmungen vorkommen, ohne dass deren physikalischen Eigenschaften verändert werden. Die Größenordnung dieses Effekts hängt dabei davon ab, wie viel latente Wärme während des Aufstiegs freigesetzt wird: Während in den Tropen mit SPPT z.T. mehr als doppelt so viele solcher Luftströmungen auftreten als in ungestörten Vorhersagen, beläuft sich der Wert in den Extratropen, in denen die latenten Heizraten geringer sind, auf eine Erhöhung von etwa 10-20% (Abbildung 1). Diese Erhöhung der Auftrittshäufigkeiten führt vor allem in den (sub-) tropischen Regionen zu einer Verbesserung der Vorhersage der Luftströmungen, weil deren Frequenz dort systematisch unterschätzt wird. Weil solche aufsteigenden Luftströmungen eng mit der Bildung von Niederschlag verbunden sind, verändert sich durch SPPT auch die globale Niederschlagsverteilung.

Mit unserer Studie konnten wir etwas überraschend aufzeigen, dass SPPT trotz seiner symmetrischen und null-zentrierten Störungen einen einseitigen Effekt auf die Häufigkeit von WCBs und anderen schnell aufsteigenden Luftströmungen im Modell hat. Dieses Verhalten kommt durch die Interaktion der Störungen mit nicht-linearen, durch Schwellwertverhalten gekennzeichneten Prozessen, z.B. in der Auslösung von Konvektion, zustande (Abbildung 2).

 

Abbildung 2:
Schematische Darstellung des Effekts von symmetrischen Störungen (rote Pfeile) in einem nicht-linearen System, das oberhalb des Schwellenwerts xcrit instabil ist.@Pickl et al. 2022
 

Referenzen:

[1] Leutbecher, M. and Palmer, T. N. (2008) Ensemble forecasting. Journal of Computational Physics, 227, 3515–3539. https://doi.org/10.1016/j.jcp.2007.02.014.

[2] Leutbecher, M., Lock, S. J., Ollinaho, P., Lang, S. T., Balsamo, G., Bechtold, P., Bonavita, M., Christensen, H. M., Diamantakis, M., Dutra, E., English, S., Fisher, M., Forbes, R. M., Goddard, J., Haiden, T., Hogan, R. J., Juricke, S., Lawrence, H., MacLeod, D., Magnusson, L., Malardel, S., Massart, S., Sandu, I., Smolarkiewicz, P. K., Subramanian, A., Vitart, F., Wedi, N. and Weisheimer, A. (2017) Stochastic representations of model uncertainties at ECMWF: state of the art and future vision. Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society, 143, 2315–2339. https://doi.org/10.1002/qj.3094.

[3] Pickl, M., Lang, S.T.K., Leutbecher, M. and Grams, C.M. (2022): The effect of stochastically perturbed parametrisation tendencies (SPPT) on rapidly ascending air streams. Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society. In press. https://doi.org/10.1002/qj.4257.

Nachwuchsgruppe: "Großräumige Dynamik und Vorhersagbarkeit"