"Vertikale Kartierung" von Mikroorganismen in der Luft mithilfe von Messungen am KIT-Messmast

Daniela Moses von der Nanyang Technological University Singapur bei der Entnahme von Luftproben auf der Spitze des KIT-Messmasts im Oktober 2018

In den Ozeanen und der Atmosphäre gibt es neben anorganischen Teilchen auch organische Partikel, d. h. lebende Substanzen. Diese sehr kleinskaligen lebenden Aerosole werden in ihrer Gesamtheit als "Air Microbiom" bezeichnet. Die vielfältigen Komponenten des Air Microbioms sind Bakterien und Pilze, die lange in der Luft schweben, sobald sie von der Erdoberfläche aufgewirbelt werden. Nur ein Bruchteil dieser Mikroorganismen findet durch Auswaschung oder durch Zusammenschluss mit größeren Partikeln wie Sand und Staub den Weg zurück an die Oberfläche. Die Entnahme von Luftproben in verschiedenen Höhen ermöglicht es, die einzelnen Komponenten im Labor in Abhängigkeit von der Höhe und der Tageszeit zu analysieren und zu ordnen.

In einer detaillierten Studie über luftgetragene Mikroorganismen in der unteren Troposphäre haben Wissenschaftler unter der Leitung von Stephan Schuster von der Nanyang Technological University, Singapur (NTU, Singapur) in Zusammenarbeit mit Ulrich Corsmeier vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung (KIT, Karlsruhe) und Thomas Feuerle vom Institut für Flugführung (IFG, Technische Universität Braunschweig) nachgewiesen, dass Bakterien und Pilze die Atmosphäre auf sehr spezifische Weise besiedeln und dies Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Lebensmittel-versorgung unter dem Aspekt des Klimawandels haben kann.

Im Rahmen einer kombinierten Feldstudie, die am 200 Meter hohen Messmast des KIT und mit dem Forschungsflugzeug DO 128 des IFG durchgeführt wurde, wurde eine große Anzahl von Luftproben genommen. Es zeigte sich, dass die Lufttemperatur der wichtigste Einflussfaktor auf die Zusammensetzung des Air Microbiome in der unteren Troposphäre ist. Wenn sich die Lufttemperatur ändert, verändern sich die gefundenen Arten und das Verhältnis von Bakterien zu Pilzen erheblich. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der derzeit beobachtete Anstieg der globalen Temperatur Auswirkungen auf das mikrobielle Ökosystem der Atmosphäre haben wird.

Die Studie ist in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) unter dem Titel "Vertical stratification of the air microbiome in the lower troposphere" veröffentlicht; DOI: 10.1073/pnas.2117293119.

Eine kurze Einführung in diesen Bereich der Atmosphärenforschung bietet ein populärwissenschaftlicher Videoclip: https://www.youtube.com/watch?v=i765V0qytH0

Wesentliche Ergebnisse

Für die Studie wurden insgesamt 480 Luftproben am KIT-Messmast während fünf Tageszyklen und auf fünf Flügen mit der DO 128 in der Umgebung Braunschweigs zwischen 300 m und 3500 m Höhe gezogen. Während beider Teilmesskampagnen im Oktober 2018 wurde das Wetter über Europa durch eine advektionsarme Hochdruckwetterlage bestimmt. Die Luftproben wurden im NTU Labor in Singapur sequenziert.

Es zeigte sich, dass die Zusammensetzung des Air-Microbioms oberhalb von ca. 1000 m unabhängig von der Tageszeit sehr stabil war. Es konnten in dieser Höhe über 10.000 Spezies sequenziert werden. Im Gegensatz dazu zeigt das Air Microbiome unterhalb von 300 m Messhöhe einen ausgeprägten Tagesgang, bei dem Bakterien und einige Pilzarten am Tag dominieren und Holz zersetzende Pilze in der Nacht vorherrschend waren.

Für die vertikale Verteilung der Spezies ist im wesentlichen die Turbulenz und die Stabilität der Schichtung verantwortlich. Während der Nacht stellte sich in der Grenzschicht eine geschichtete Verteilung unterschiedlicher Spezies ein, während tagsüber die Komponenten durchmischt wurden. Durch die parallele Messung meteorologischer und biologischer Daten ist damit eine ganzheitliche Betrachtung lebenden Aerosols in der Atmosphäre möglich.

Zudem wurden in den oberen Messhöhen bis zu 20-fach erhöhte Konzentrationen strahlungstoleranter Bakterien gefunden, die für ihre Resistenz gegenüber ionisierender Strahlung und UV-Strahlung bekannt sind. Eine dieser Spezies, Deinococcus Radiodurans, kann eine 1000-fach höhere Strahlung als der menschliche Körper verkraften. 

Wissenschaftliche Perspektiven

Die Studie zeigt, dass die Luft ein eigenes mikrobielles Ökosystem hat, ähnlich wie die Mikroorganismen an Land und im Meer. Wir erwarten, dass Veränderungen im Mikrobiom der Luft auch Auswirkungen auf terrestrische und aquatische Ökosysteme haben werden. Mit dem neuen Datensatz als Grundlage können auch die Veränderungen im Mikrobiom der Luft bei sich änderndem Klima modelliert werden.