Über Ostasien flattert ein Schmetterling ...

Die Hitze war beispiellos: Im Sommer 2021 litten die westlichen USA und Westkanada unter sengender Sonne.

Die Hitze war beispiellos: Im Sommer 2021 litten die westlichen USA und Westkanada unter sengender Sonne. Wetterberichte hatten starke Wärme vorhergesagt. Einige hatten dabei mögliche Extremtemperaturen erwähnt, andere nicht. Wie kann das sein? Forschende am KIT haben herausgefunden, dass Fernwirkung eine wichtige Rolle für das Wetter spielt. Solche Prozesse gilt es, in den Wetterprognosen besser zu berücksichtigen.

 

 

Fig. 1: Während der Hitzewelle 2021 in Nordamerika wich die Temperatur vom langjährigen Juni-Mittel stark ab. Der ausgeprägte Hochdruckrücken ist hier in Schwarz dargestellt. In Lytton (gelber Stern) traten noch nie dagewesene Rekordtemperaturen auf.

Straßenbeläge wölben sich auf, Wälder fangen Feuer, die Ernte verdorrt auf dem Feld und Hunderte Menschen sterben: Mitte Juni 2021 klettert das Thermometer in den westlichen USA und Westkanada örtlich bis auf knapp 50 Grad Celsius. Annika Oertel und Christian Grams haben mit Kolleg*innen der Arbeitsgruppen Großräumige Dynamik & Vorhersagbarkeit und Wolkenphysik am Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) am KIT und des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage untersucht, was meteorologisch in diesem Sommer passiert ist, dass es zu solchen Extremen kam. Dabei ging es speziell darum, wie gut Wettermodelle dies vorhersagen konnten. „Dass es warm werden würde, haben alle Wettervorhersagen geliefert. In der Vorhersage des Extrems aber waren sie unterschiedlich gut“, sagt Grams. Warum war das so? Das haben Oertel und Grams zusammen in einem internationalen Team anhand von mehr als 700 damaliger Vorhersagen untersucht.

„Die Hitze war mit dadurch bedingt, dass sich über Nordamerika ein riesiger, stationärer Hochdruckrücken aufgebaut hat. Der ist zwingend notwendig, damit sich die Hitzeglocke aufbauen konnte“, erklärt Oertel die damalige Grundwetterlage. Stationär heißt dabei, dass es wenig Austausch zwischen den Luftmassen gibt. Die Sonne heizt das Ganze auf. Und weil es so viel Luftmasse in der Luftsäule gibt, drückt es durch Absinkbewegungen stark nach unten und das heizt zusätzlich ein. Das Stichwort ist Kompressionswärme: „Man kennt das von der Luftpumpe: Wenn man die Pumpe zuhält und die Luft drinnen immer weiter zusammendrückt, wird es warm am Finger“, erläutert Grams. Je mehr, umso heißer. „Wir haben die Wettervorhersagen dann danach eingeteilt, ob sie diesen Hochdruckrücken gut oder weniger gut vorhergesagt haben.“

Sofort war klar: Die Vorhersagen, die den Hochdruckrücken gut vorhergesagt haben, haben auch die Hitze gut prognostiziert. Nun ging es um das Warum. „Wir haben uns auf die stark aufsteigenden Luftströmungen im Nordpazifik konzentriert, weil diese eine wichtige Rolle spielen beim Aufbau von starken Hochdruckgebieten. Denn sie schaufeln quasi immer noch mehr Luft in ein bestehendes Hochdruckgebiet rein“, so Grams. Tatsächlich zeigten sich in allen Modelldaten  der guten Vorhersagen Spuren solcher Luftströme.

Diese in den operationellen, von Wetterdiensten herausgegebenen Daten zu finden, war nicht einfach. Um aber sehr dynamisches Geschehen wie Aufstiege von Warmluft zu identifizieren, braucht es normal viel mehr Daten als die Dienste archivieren. Solche Studien waren also eigentlich nur für kleinräumige Fälle oder Sonderdatensätze möglich. Bis jetzt: Die KIT-Nachwuchsgruppe hat ein Tool entwickelt, das solche  aufsteigenden Luftmassen  auch mittels reduzierter Daten erkennen kann. „Wir arbeiten mit einem neuronalen Netz. Das arbeitet viel effizienter als hergebrachte Methoden zur Identifizierung dieser Luftströmungen. Der Rechenaufwand ist viel kleiner“, erläutert Oertel.

Fig. 2: Verfolgt man die Luft in den entscheidenden oberen Schichten des Hochs zurück zeigen mehr als zwanzig Prozent der Luftmasse Aufstiege von der unteren Troposphäre im Westpazifik bis hinauf ins Höhenhoch über Nordamerika.

Damit haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zweierlei festgestellt: Erstens erfolgte die besagte Warmluftzufuhr in das Hochdruckgebiet nicht stetig, sondern in mehreren einzelnen  Schüben. Insofern ist bei Wetterprognosen zu beachten, dass Prozesse auf unterschiedlichen Skalen wechselwirken – im Fall der Hitzewelle in Amerika die aufsteigenden Luftströme, die jeweils etwa eins bis zwei Tage dauerten, und die wochenlange Hochdrucklage. Zweitens gibt es eine Fernwirkung: Luftströme vom Westpazifik können beeinflussen, welche Kapriolen das Wetter am Ostpazifik schlägt.

„Es beginnt früh. Bevor sich wirklich ein großes Wetterereignis aufbaut, gibt es schon Tage vorher und womöglich weit weg Entwicklungen, die das Ereignis extrem werden lassen können. Im Fall von 2021 waren es stark aufsteigende Luftströmungen, die mit dem Jetstream interagieren. Werden diese Ströme unterschätzt, wird in den Modellen ein leicht unterschiedliches Wellenmuster wiedergegeben. Diese an sich kleinen Fehler wachsen dann  im Modell schnell an. Dadurch kommen Fehlvorhersagen zustande, auch für die nächsten stark aufsteigenden Luftströmungen, die das Hochdruckgebiet noch weiter verstärken. Damit ist dann die ganze Kaskade fehlerhaft im Model repräsentiert. Genau das ist bei den schlechten Vorhersagen im Sommer 2021 passiert“, fasst Oertel die Ergebnisse zusammen.

Wäre es nicht auch gut, die Methode des neuronalen Netzes der KIT-Gruppe auf den Wetterbericht allgemein anzuwenden? Und eignet sie sich überhaupt dafür? „Ja und nein“, sagt Grams. „Sie dient dem Verständnis einer Abfolge von Prozessen, aber das betrifft mehr die Forschungsanwendung als die operationelle Anwendung.“ Nichtsdestotrotz bieten die Forschenden einen öffentlichen Einblick an. „Wir lassen das  neuronale Netz täglich laufen und es gibt einen Weblink dazu (http://www.kit-weather.de/wcb_probability_maps.php). Allerdings bedient dies mehr das Interesse am Wechselspiel zwischen verschiedenen Skalen und Ereignissen, die weit auseinander liegen, als dass es Teil des Routinebetriebs sein kann.“

Eine Lehre für die Praxis wurde indes bereits gezogen: „Es soll nicht sein, dass man in den Vorhersagen nicht einmal eine klitzekleine Wahrscheinlichkeit für ein mögliches Extremereignis sieht“, so Grams. Auch das war ein in dem Forschungsverbund, in dem die KIT-Analyse eingebettet ist, ein Thema.

Zwar wurden bisher schon jeweils 50 Ensemblerechnungen je Vorhersage gemacht. Das liefert dann einen gewissen Range für Temperatur, Wind oder Niederschlag. Im besagten Fall aber lag das tatsächlich eingetretene Extrem weit außerhalb dieser Bandbreite. Die 50  Ensemblerechnungen waren offenbar zu wenig. Deswegen wurde deren Zahl bei den europäischen Wetterdiensten nun verdoppelt auf 100. Ist das dann optimal? „Man kommt damit auf jeden Fall näher daran, Extremereignisse wenigsten einmal als möglichen Ausreißer in den Daten gesehen zu haben.“

Nicht zuletzt geht es dabei um Vorbereitung. Denn es lässt sich nicht verhindern, dass in  Ostasien ein Schmetterling flattert. Dass irgendwo ein dynamisches Wettergeschehen bestehende Hitze- oder Kältewellen, Stürme oder Schneemassen noch weiter aufputscht. Wie schlimm wir das dann erleben, aber vielleicht schon.

30.05.2023 

Autoren:

- Reichert, C. (Freie Wissenschaftskommunikatorin, Texterin & Lektorin)

- Oertel, A., and Grams, C. M. (Working Groups: “Large-scale Dynamics and Predictability” and “Cloud Physics” at IMK-TRO, KIT)
LINKS:
https://www.imk-tro.kit.edu/english/7425.php

https://www.imk-tro.kit.edu/english/5599.php