Bessere Wettervorhersage dank künstlicher Intelligenz?

KIT-Forschende und Mitglieder von nationalen Wetterdiensten beraten über eine neue „Spielwiese“ zur Erforschung des Nutzens von maschinellem Lernen in der Wettervorhersage.

Jahrzehntelange Entwicklungen operationeller Wettervorhersagesysteme bei nationalen und internationalen Wetterdiensten (z.B. Deutscher Wetterdienst DWD, Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage ECMWF) haben zu einem bemerkenswerten Anstieg der Vorhersagequalität geführt. Heute können beispielsweise troposphärische Druck- und Temperaturwerte für die nächsten 7 Tage so gut vorhergesagt werden wie in den 1980er Jahren für die nächsten 4 Tage [1]. Mit steigender Anzahl von Extremwettereignissen im Klimawandel [2] und dem Ausbau der erneuerbaren Energien werden verlässliche Wettervorhersagen für Tage und Wochen im Voraus immer wichtiger, um Planungen zu optimieren und mögliche Schäden zu verringern. Während die komplexen Wettervorhersagesysteme bislang auf physikalischen Prinzipien beruhend entwickelt wurden, findet zurzeit ein fundamentaler Paradigmenwechsel statt: Die gewaltigen Datenmengen von meteorologischen Messsystemen und Modellen sowie die enorme Rechenleistung von Supercomputern erlauben es, Methoden künstlicher Intelligenz auf Wettervorhersagen anzuwenden. Das ECMWF beispielsweise hat hierfür einen ambitionierten 10-Jahresplan ausgearbeitet [3].

Links: Standorte aller Radiosondenstationen weltweit, die Mitte November 2022 Beobachtungsdaten von Wetterballons liefern (insgesamt 1094). Unterschiedliche Symbole und Farben kennzeichnen verschiedene Sondierungstypen. Originalgrafik generiert auf: https://www.ecmwf.int/en/forecasts/charts/monitoring/dcover?facets=undefined&time=2022111400,0,2022111400&obs=Temp&Flag=all © ECMWF Rechts: Standorte aller Pseudo-Radiosonden für ein beispielhaftes Simulationsexperiment im Rahmen von TEEMLEAP für den 15. August 2020, 00 UTC (hier: insgesamt 1000 Standorte). Alle Regionen werden so bezüglich ihres Flächenanteils gleichermaßen repräsentiert. Die Färbung der Punkte kennzeichnet hier den Temperaturwert in rund 5.5 Kilometern Höhe, wie er aus Reanalysedaten des ECMWF extrahiert werden kann. © DWD / Jannik Wilhelm

Ein Forschendenteam des KIT-Projekts TEEMLEAP (A new TEstbed for Exploring Machine LEarning in Atmospheric Prediction) unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Knippertz (IMK-TRO) hat gerade eine „Spielwiese“ zur Erforschung des Nutzens künstlicher Intelligenz entlang der Wettervorhersagekette auf dem KIT-Hochleistungsrechner HoreKa etabliert. Dabei arbeiten die Forschenden eng mit dem DWD zusammen und verwenden dessen operationelles System. Am 01. Dezember 2022 fand am KIT ein Workshop statt, auf welchem das TEEMLEAP-Team, führende DWD-Fachleute und weitere nationale und internationale Experten aus den Bereichen Wetterbeobachtungsdaten, Modellierung, Mathematik, Informatik und Hydrologie die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten dieser neuartigen Vorhersageumgebung diskutierten. „Diese Spielwiese ermöglicht es uns, spannende Fragen entlang einer vereinfachten, aber realitätsnahen Vorhersagekette zu untersuchen“, erläutert Dr. Julian Quinting (IMK-TRO). „Würden eher bessere Beobachtungsdaten oder bessere Vorhersagemodelle die Vorhersagequalität am meisten steigern? Wo ist der Nutzen künstlicher Intelligenz am größten?“

Um diese und weitere Fragen zu beantworten, sollen globale Vorhersagezyklen für vergangene Wettersituationen simuliert werden, in die sogenannte Pseudo-Beobachtungsdaten einfließen. „Wir verwenden hochaufgelöste Reanalysedaten des ECMWF, die es uns ermöglichen, fiktive Wetterballons an jedem Ort des Globus aufsteigen zu lassen“, erklärt Dr. Jannik Wilhelm (IMK-TRO). „Im Gegensatz zum realen Beobachtungsnetz erhält das Vorhersagemodell des DWD damit Informationen über die Vertikalstruktur der Atmosphäre, die sonst für die Wettervorhersage nicht überall zur Verfügung stehen“ (vgl. Abb. 1). Indem das Team die Genauigkeit und räumliche Verteilung der Pseudo-Beobachtungen verändert und Eigenschaften wie z.B. ihre Verfügbarkeit und die Modellauflösung variiert, können Rückschlüsse auf die Bedeutung der einzelnen Komponenten der Vorhersagekette gezogen werden.

Zudem können anhand der Experimente Verfahren des maschinellen Lernens für die statistische Nachbereitung von Wettervorhersagen weiterentwickelt werden [4]. „Aufgrund der Komplexität des physikalischen Systems Atmosphäre ist es von entscheidender Bedeutung, die Wahrscheinlichkeit von Wetterereignissen wie Stürmen oder Hitzeperioden möglichst optimal zu schätzen. Wir haben vor Kurzem gezeigt, dass künstliche Intelligenz ein großes Potential für die Nachbereitung von Wettervorhersagen hat“, berichtet TEEMLEAP-Wissenschaftler und Nachwuchsgruppenleiter Dr. Sebastian Lerch (ECON).

In Verbindung mit einer Kostenabschätzung für mögliche Verbesserungen der Beobachtungs- und Modellsysteme können die Ergebnisse der Untersuchungen von TEEMLEAP Wetterdienste in ihren strategischen Entscheidungen zur Weiterentwicklung der operationellen Systeme unterstützen und wertvolle neue Methoden zur Anwendung in der Vorhersagekette bereitstellen.

[1] T. Haiden, M. Janousek, F. Vitart, Z. Ben Bouallegue, L. Ferranti, F. Prates (2021): Evaluation of ECMWF forecasts, including the 2021 upgrade. Technical memorandum. http://dx.doi.org/10.21957/90pgicjk4

[2] IPCC (2018): Global Warming of 1.5°C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty [V. Masson-Delmotte, P. Zhai, H.-O. Pörtner, D. Roberts, J. Skea, P.R. Shukla, A. Pirani, W. Moufouma-Okia, C. Péan, R. Pidcock, S. Connors, J.B.R. Matthews, Y. Chen, X. Zhou, M.I. Gomis, E. Lonnoy, T. Maycock, M. Tignor, and T. Waterfield (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, UK and New York, NY, USA, 616 pp. https://doi.org/10.1017/9781009157940

[3] P. Dueben, U. Modigliani, A. Geer, S. Siemen, F. Pappenberger, P. Bauer, A. Brown, M. Palkovic, B. Raoult, N. Wedi, V. Baousis (2021): Machine learning at ECMWF: A roadmap for the next 10 years. Technical memorandum. http://dx.doi.org/10.21957/ge7ckgm

[4] S. Vannitsem, J.B. Bremnes, J. Demaeyer, G.R. Evans, J. Flowerdew, S. Hemri, S. Lerch, N. Roberts, S. Theis, A. Atencia, Z. Ben Bouallègue, J. Bhend, M. Dabernig, L. De Cruz, L. Hieta, O. Mestre, L. Moret, I.O. Plenković, M. Schmeits, M. Taillardat, J. Van den Bergh, B. Van Schaeybroeck, K. Whan, J. Ylhaisi  (2021). Statistical Postprocessing for Weather Forecasts: Review, Challenges, and Avenues in a Big Data World, Bulletin of the American Meteorological Society, 102(3), E681-E699. Abgerufen am 14. November 2022: https://journals.ametsoc.org/view/journals/bams/102/3/BAMS-D-19-0308.1.xml